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Jo - Wie isset so in Vietnam ?

Drei Wochen Fernost mit Susi und Michael

Literaten haben es schwer

Dass die Welt nicht nur aus Arbeitern und Bauern bestehen kann, hatte man in Vietnam schon begriffen, lange bevor die kommunistischen Machthaber hier das Ruder übernommen haben. Und letztere hatten es dann zwischenzeeitlich wieder vergessen oder wollten nichts davon wissen. Bereits im Jahr 1075 (so ungefähr) richtete man in Hanoi den sogenannten Literaturtempel ein. Hier wurden die reichen Söhne wichtiger Familien unterrichtet. Es war quasi die erste Universität des Landes. Immerhin war diese Institution über 800 Jahre in Betrieb, was man ihr heute nicht ansieht. Kein Wunder, wurde der Tempel im Indochinakrieg in den 1940er jahren arg ramponiert. Als der Krieg vorbei war, half die grande Nation Frankreich - der ehemaligen Gegner - beim Wiederaufbau, so dass die riesige Anlage heute in alter Pracht erstrahlt. Innenhöfe, Gärten, Schlafräume der Studenten - nach weiteren Renovierungen durch den vietnamesischen Staat ist alles wieder zu besichtigen.


Bis zu 30 Schüler bzw Studenten wurden hier jährlich im Geiste von Konfuzius unterrichtet bzw schafften ihren Abschluss. Das waren dann nicht mehr nur Adlige, sondern auch in der Bürgerschaft soll es den ein oder anderen schlauen Studenten gegeben haben. Die Abschlussprüfungen für Mediziner, Philosophen und andere geistige Größen sollen aber bis zum Schluss sauschwer gewesen sein. Musiker und Verbrecher durften übrigens nicht hier studieren. Interessante Kombination.

Ob es damals auch schon Klimaanalagen oder wenigstens Ventilatoren gab? Die Frage stellt sich fast zwangsläufig am heutigen Vormittag. Unser Hanoi Experte Nam hatte für heute "gutes Wetter" angekündigt. Ob die 36 Grad morgens vor 10 Uhr bei 80% Luftfeuchtigkeit unbedingt "gut" sind, ist bei uns Europäern keine Diskussion wert, denn die Antwort steht fest: nicht gut. Der Schweiß rinnt trotz schattiger Plätze in den Innenhöfen an Körperteilen hinab, die du, lieber Leser und liebe Leserin, gar nicht näher bezeichnet haben willst.

Der Literaturtempel erweist sich als Marathonbesichtigung. Immerhin ist das Gebäude einzigartig in Vietnam und gehört zu den größten Sehenswürdigkeiten des Landes. Nam kennt hier alle Steine persönlich, könnte die über 1306 Doctores per Handschlag begrüßen, deren Prüfungsergebnisse hier bis ins 18. Jahrhundert in Stein gemeißelt wurden und heute noch lesbar sind. Grundkenntnisse in Chinesisch vorausgesetzt.

Und weiter geht es zu Fuß durch die Stadt, zur einsäuligen Pagode, die ein Herrscher hat errichten lassen, aus lauter Dankbarkeit dafür, dass sich in Ermangelung eines männlichen Nachfolgers plötzlich der Himmel auftat und ihm von dort ein Baby angereicht wurde. Ein männliches dazu.



Am späteren Nachmittag treffen wir Nam erneut, diesmal an der Thé Huc - der Roten Brücke über den grünen See. Ho Guom, der "See des zurückgegebenen Schwertes" liegt mitten in Hanoi, ist enorm groß, war aber mal doppelt so groß, bis die französischen Besatzer Platz für ihre Avenues und Repräsentationsgebäude brauchten. Kurzerhand wurde die andere Hälfte zugeschüttet.

Die Farbsymbolik ist den Vietnamesen so wichtig, dass der Jammer groß war, als der See eines Tages die Farbe verlor. Deutsche Ingenieure legten den See in den 1980ern trocken und begrünten ihn dann irgendwie so, dass er bis heute grün geblieben ist. Passend zum benachbarten Tempel.

Vorbei am schönen Ngoc Son Jadetempel geht es zu einer weiteren Spezialität Hanois: dem Wasserpuppentheater.

Die etwa dreihundert Plätze sind zur Hälfte gefüllt, als die Musiker die  Bühne betreten. Die Show läuft  bs zu viermal am Tag, aber trotzdem entwickeln die Damen und Herren eine gewisse Spielfreude. Es erklingen traditionelle vietnamesische Instrumente - kann man sich trotz der exotischen Klänge auch als Europäer gut anhören.

Verstehen tun wir nix, aber immerhin liefern die Monitore eine englische Zusammenfassung der einzelnen Szenen. Es geht um so spannende Sachen wie "Szenen aus dem Landleben" (Bauer rettet Gänse vor dem hungrigen Wolf) oder einen Schwimmwettkampf. Die Musikerinnen und Musiker leihen den Holzpuppen ihre Stimme.

Die Bühne ist kniehoch geflutet. Hinter einem Bambusvorhang verstecken sich die Puppenspieler und lassen ihre bunt lackierten Charaktere an langen Stäben durchs Wasser flitzen. Das ist putzig anzusehen und das Publikum geht richtig mit - vorausgesetzt, es besteht Interesse.

Da gibt es auch Teens, die von der Familie mitgeschleppt worden sind. Für sie ist jedes Handy Browsergame interessanter, als die Holzpüppchen, und das zeigen sie auch ohne Scheu, obwohl es doch den ein oder anderen "Special effect" zu sehen gäbe. So ein Wasserdrachen kommt selbstverständlich nicht ohne Pyro aus. Jedenfalls wird gedaddelt, was das Display her gibt und die Oma daneben stört es nicht.

Die Puppenspieler selbst haben zwischendurch auch Rollen, für die sie ins Wasser steigen müssen. Auch sie haben wohl schon alle Arten von Publikum erlebt, machen auch weiter, als sich die Tür zum Auditorium öffnet und sich kurz darauf eine Busladung verspäteter Inder einen Weg zu den Plätzen bahnt. Über das Verhalten meist männlicher indischer Pauschaltouristen könnten wir hier noch einige Seiten füllen, breiten aber besser den Mantel des Schweigens drüber. Minutenlang wird geschoben, geräumt, gequetscht, diskutiert, bis jeder der etwa 50 Zuspätkommer im Dunkeln einen Platz gefunden hat.

Hat der Tourismus die Jahrhunderte alte Tradition des Wasserpuppentheaters gerettet? In Hanoi ist das sicher der Fall, denn es gibt dort gleich mehrere Theater dieser Art.

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